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Rede

Vernissage-Rede von Herbert Köhler      

[…] Lassen Sie mich im Obergeschoss beginnen. Hier umfassen drei Gemäldewände eine Installation in der Mitte.
Gleich an der ersten Wand hängen zwei Arbeiten von
Stefanie Hoellering. Das 1992 in Öl auf Leinwand gemalte – auch im Katalog abgebildete – hält in gestischer Vehemenz ein Gefühl beim Abschied von der so wunderschön in einer Bucht liegenden, kleinen ligurischen Gemeinde Bonassola fest. Diesem Ort bei La Spezia widmete Stefanie Hoellering eine ganze Serie.
Die Quellen zu ihrer Malerei lassen sich weit fassen. Spürbar sind Pablo Picasso, Wols, die Maler der Gruppen COBRA und SPUR, Francis Bacon, aber auch durchaus Paul Klee (wenn man sich ihn hochformatiert vorstellen will).
Die Künstlerin wird 1955 in Kempfenhausen am Starnberger See geboren, will Schauspielerin werden, findet sich jedoch mit 18 Jahren in Rom im Kontakt zu dem aus den USA stammenden Bildhauer Emanuel Herzl (*1914). Sie weiß bald: ihre Sache wird die Kunst mit dem Schwerpunkt Malerei.
1982 lernt Stefanie Hoellering den Maler Peter Casagrande kennen, den sie später heiraten wird.
Sie zieht zu ihm nach Maitenbeth am Inn. Beide stehen zusammen mit Peter Schwenk für das 1979 gegründete ›Künstlerkollektiv Maitenbeth‹ und haben mit ihrer Ladengalerie der Künstlerwerkstätten in der Lothringer Straße 13 in München den Fuß in der Großstadt.
Stefanie Hoellering sollte nur knapp 45 Jahre alt werden. Sie starb im Mai 2000 an einer Erkrankung, die sie sich bei einem Arbeitsaufenthalt im senegalesischen Dakar zugezogen hatte.

Einen Blick weiter – in partnerschaftlicher Nähe also – hängen zwei Gemälde von
Peter Casagrande, die 2003 entstanden. Der 1946 in Weilheim geborene Bayer mit dem unbayerischen Namen studierte an den Akademien in München und Berlin und stellt seit 1980 auf der ganzen Welt aus.
Der Maler ist für seine gigantischen Bildformate bekannt. Diese ›völlig übersteigerte Ölschinken‹ zu nennen wäre in seinem Fall nicht einmal diffamierend, so sie doch an die dunkle, todessüchtige, chaosliebende, raumschaffende Deutsche Romantik anknüpfen. Das aber rein optisch-ideell. Denn Peter Casagrande versteht seine Malerei grundsätzlich als raumergreifend. Die Expression der Seele ist an eine Ausdehnung im Raum gekoppelt. Wer sich Raum verschafft, belegt ihn mit subjektiven, impulsgesteuerten Qualitäten, besetzt und erweitert ihn und damit auch sich. So entsteht Macht durch Raumgewinn. Nichts anderes verfolgt Peter Casagrande mit seiner Malerei, die er sich Idee um Idee, Schicht um Schicht verräumlichen lässt. Seine Gemälde werden nicht im eigentlichen Sinne gemalt, sondern wachsen unter verausgabenden Gesten und immensen Materialgaben, und das auch noch – so scheint es – nachdem sie fertiggestellt sind.

Ganz anders geht es auf der nächsten Gemäldewand zu.
Der 1964 in Tokio geborene
Hideaki Yamanobe trägt einen ganz anderen Kulturkreis mit in seine Malerei. In Japan ausgebildet lebt er seit den 90er Jahren vorwiegend in Deutschland.
Seine Malerei ist farblich sehr reduziert, bedient sich fast ausschließlich der vielen Valeurs zwischen Schwarz und Weiß, Sepia ist zu erkennen, selten taucht ein Rot auf, und wenn, dann auch nur zeichenhaft. So kann der Eindruck entstehen, dass jedes Gemälde fast hastig mit Zuckerguss retouchiert wurde. Denn es hängen mehr als nur Sfumato oder Nebelwolken über der Leinwand. Es sind ins Relief drängende Cluster, die zwar die dahinterliegende Zeichnung fast ausschalten, diese aber dort an die Oberfläche lässt, wo sie stark genug ist, sich frei zu behaupten.
Einen wichtigen Stellenwert in seiner Arbeit gibt Hideaki Yamanobe der Musik. Eine ganze Malserie überschreibt er mit dem Titel ›Klangassoziationen‹. Sie übertragen den jeweiligen Höreindruck subjektiv in die Malerei.

Die Mitte des Raumes im OG wird von einer 3-teiligen Installation der Eisenplastikerin
Ferose eingenommen. Die drei Objekte sind nicht nur so einfach dahingestellt, sondern, man könnte fast sagen, auf die drei Gemäldewände hin ausgerichtet. Wer sich jeweils eine Gemäldewand als Betrachterfolie hinter Feroses Installation reserviert, merkt, wie grundsätzlich sich dabei die Optik der Installation selbst verändern wird.
Allerdings stehen die Eisenarbeiten Feroses sonst für sich.
Es ist verständlich, dass allein schon der Name ›Ferose‹ neugierig macht. Der Künstlername steht für ein radikales Bekenntnis zum Material Eisen. Man könnte von einer Identifikation mit dem Prinzip selbst sprechen; vielleicht von einem ›Brennen für das Eisen‹ reden, es kommt auf die Sprachquelle an, die man heranzieht.
Auch Ferose lässt sich – wie ihre Malerkollegen auf der Geschossebene – intuitiv in den Arbeits- und Schaffensprozess hineinfallen. Das hängt nicht zuletzt mit ihrer Verfahrenstechnik zusammen. D.h. im allgemeinen, dass sich die Endform erst während des Produktionsprozesses ergibt.
Feroses Eisenplastik wird nämlich nicht gegossen, sondern regelrecht aufgebaut aus Eisendraht und geschweißten Verbindungspunkten. Eine Art Töpfern mit Eisen, wenn man so will. Für die Farbentwicklung der Oberflächen sorgen Luft und Wetter.

Wir sind nun im
Zwischengeschoss.
Hier stellen die beiden Maler Andreas Lau und Frank Renner aus. Und wieder ist es eine Arbeit von Ferose, die in der Mitte des Raumes wie eine eiserne Regieanweisung für Blickordnung zu sorgen scheint.

Schon von weitem sieht man zwei Gemälde des 1964 geborenen
Andreas Lau. Und von weitem scheint auch klar, dass da etwas Realistisches zu sehen ist. Harmlose Szene am Ufer und ein Kinder-Porträt. Aber alles, was lapidar daherkommt, hat es in sich. Andreas Lau hatte vor ein paar Jahren eine Baby-Porträt-Serie gemalt, in der er auf Kinderfotos von Hitler oder Karol Wojtyla zurückgegriffen hatte. Der belgische Maler Luc Tuymans hat mit solchen optisch-semantischen Gegenüberstellungen angefangen, die nach folgendem Prinzip verfahren: Wer nicht weiß, wer dargestellt wird, sieht ein bieder-harmloses Bild; für denjenigen, der es weiß, soll sich jedoch in einem Betroffenheitsschock mit einem Schlag alles ändern.
Mit diesem Umkippphänomen in der kognitiven, nicht allein in der optischen, Wahrnehmung, spielt Andreas Lau. Auf der anderen Seite verstärkt er die Relativierung des Sehens mit seiner Maltechnik. Das in Bildpunkte aufgelöste Gemälde (Eitempera auf Nessel) animiert aus der Fernsicht unweigerlich zur Nahsicht, bei der es seinen Gegenstand dann völlig verliert. Der Effekt lässt sich in einem Sprichwort bündeln: den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Das ist zeitgenössische Bild- und Medienkritik auf subtilstem Niveau.

Frank Renner ist 1958 in Tuttlingen geboren. Er gehört zu jenen Malern, die es vermögen, ihre jeweilige geistige und seelische Befindlichkeit als ›innere Notwendigkeit‹ in einem Bild festzuhalten, das durch einen meist metaphorischen Titel, Assoziationsketten im Betrachter auslösen soll. Damit ist das Spiel eröffnet.
Die Optik, die Frank Renner schafft, hält sich an einfache Formen und wenige, aber deutliche Farben. Es gibt nur mit der freien Hand geführte Geometrien und organische Gestalten, die sich, wenn nicht elastisch, dann doch amöbisch zu verhalten scheinen.
Die Arbeiten, die hier in Markdorf zu sehen sind, spielen vorwiegend mit den Farben Rot und Weiß. Wobei das Weiß als Libero, als freie Binnenform vor rotem Fond eingesetzt wird. So entsteht eine Art Zeichen-Alphabet intuitiv gestisch gesetzter, freier Formen.

Wir kommen ins
Erdgeschoss und haben hier endlich alles mehr im direkten Blick. Arbeiten von vier Künstlern aus der Galerie Titus Koch.
(Aber auch hier wieder eine Eisenplastik von Ferose.)
Wie schon im Obergeschoss, möchte ich bei meiner Beschreibung dem Uhrzeigersinn folgen.
D.h. Ich beginne hier vorne mit den Arbeiten des elsässischen Künstlers
Raymond Émile Waydelich, der 1938 in Straßburg geboren wurde.
Wie sein späterer Freund Tomi Ungerer (1931) schrieb er sich im Oktober 1953 an der damaligen École municipale des Arts Décoratifs in Strasbourg ein. Ungerer hielt es ein paar Monate dort aus. Waydelich ein paar Jahre. Nach Zwischenstationen als Armeefotograf in Algerien, beginnt Waydelich erst Anfang der 60er Jahre, sich der Kunst professionell zu widmen.
Er war immer fasziniert von ausgemusterten Alltagsgegenständen, verband damit eine Archäologie des Alltags. So wurde er zum Trödel- und Flohmarktgänger. Das, was er dort fand, verbaute er in künstlerischen Assemblagen. So nennt man Collagen mit plastischen, meist gefundenen Objekten. Zwei davon haben wir hier.
1978 vertrat Raymond Waydelich Frankreich auf der Biennale in Venedig (Mit der Arbeit ›L’Homme de Frédehof‹, Selbstporträt).
Als er Anfang der 1970er Jahre das ›Journal intim‹, ein Tagebuch-Manuskript der Modeschneiderin Lydia Jacob von 1890 entdeckt zu haben glaubt, macht er sie kurzerhand zu seiner Muse und zu seinem Markenzeichen. 1986 präsentiert er im Musée des Beaux Arts in Mulhouse ihre erfundene Lebensgeschichte, die »Lydia Jacob Story«, Geschichte einer fiktiven Familie in Strasbourg, Reiseberichte in Kästen und Bildern.
Aufsehenerregend war eine Aktion Waydelichs, während der er 1995 auf einem Parkplatz neben dem Straßburger Münster diverse Alltagsgegenstände »Mémoires du future« (Erinnerungen an die Zukunft) in einer ›Betongruft‹ versenkte und verschloss. Sie sollen – so Waydelichs Vorstellung – im Jahre 3790 von intergalaktischen Archäologen ausgegraben werden.
Sie sehen, da steckt viel Witz in Waydelichs Kunst.
Dass ›Lydia Jacob‹ immer noch aktuell ist, zeigt das Holzobjekt ›Rheinschiff‹ von 2012, das natürlich nach der Muse getauft ist.

Melanie Richter ist 1964 in Göppingen geboren.
Ihre akademischen Stationen laufen über Basel, Freiburg, Stuttgart und enden an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf. 1995 ist sie dort Meisterschülerin von Dieter Krieg (Dessen Arbeiten dürfen auf der EXPERIMENTELLEN 17 auf keinen Fall fehlen und sind in Randegg 22, Kulturwerkstatt Meierhof Perwarth zu sehen).
Melanie Richter ist eine Malerin, die nichts dagegen hat, in ihrer Malerei auch ins Relief oder Objekthafte hinüberzuwechseln. Sie arbeitet vorwiegend in Serien. Hier sind es Beispiele aus der Serie ›Kandelaber‹, die in den letzten zwei Jahren entstand.
Gemalt wird mit Pigment und Acrylfarbe, die – auf die Rückseite aufgebracht – den Nesselstoff nach vorne hin durchdringt. Das Plastische besorgt Stearin, also Wachs. Dadurch wird ein starkes, griffiges Material- und Raumgefühl erzeugt, das vom Bildträger ausgeht.

Es gibt viele Schicksale, die einen Künstler treffen können. Aber wenn einem das Atelier abbrennt und damit so gut wie die gesamte Produktion von 30 Jahren vernichtet wird, dann ist das ein unfreiwilliger Potlatch und somit wirklich eine Tragödie.
Am 10. März 2007 ist
Thomas Finkbeiners Atelier in Denkingen vollständig abgebrannt. Der 1957 in Bad Mergentheim geborene Maler hat alles verloren.
Aber es ging weiter, und die Gemälde danach kommen nicht gerade depressiv daher, dennoch sind sie anders als früher. Zwei Arbeiten in Eitempera auf Nessel mit dem Bildtitel ›10 x Fake‹ aus dem vergangenen Jahr beweisen es.
Wem das Dargestellte irgendwie bekannt vorkommt, signalisiert Bilderwissen. Denn die einzelnen Motive stammen nicht von Thomas Finkbeiner – vielleicht das Selbstporträt. Er hat auf seine Tafeln so etwas wie ein Rebus zur modernen Kunstgeschichte gemalt. Vielleicht können sie nachher auch mitraten, welchem Künstler was zuzuordnen ist und stoßen auf Pablo Picasso, Henri Matisse, Roy Lichtenstein, Ferdinand Léger, Miró, Magritte … wer weiß.

Ein Urgestein des Abstrakten Expressionismus in Deutschland aber fehlt noch.
Helmut Sturm.
Er ist hier mit fünf Gemälden vertreten.
Der 1932 geborene und 2008 gestorbene Künstler, wird vor allem mit der legendären linken Münchener Künstlergruppe SPUR in Verbindung gebracht. 1958 wurde sie gegründet.
Erwin Eisch (*1927), Dieter Rempt, Lothar Fischer (1933–2004), Heimrad Prem (1934–1978), HP Zimmer (1936–1992) und eben Helmut Sturm gehören zum Gründungsstamm. Hans Platschek und eine Zeitlang Dieter Kunzelmann waren ihre Theorieflüsterer. Wackelige Kontakte gab es nach Frankreich zu Guy Debord und der Situationistischen Internationale.
Helmut Sturms Malerei hat den Expressionismus Max Beckmanns und den Tachismus eines Wols im Auge, steht dem französischen Informel nahe und stand stilbildend unter dem Einfluss seines väterlichen Freundes Asger Jorn, dem Impulsgeber der Künstlergruppe CoBrA.

Wer sich in die Wirkung seiner stark gestischen Bildauffassung hinein versenkt, kann den Schwung aufnehmen für mindestens 17 weitere ›Experimentelle‹.

©2012HerbertKöhler





 
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